Sind Doppelbesteuerungsabkommen fair?

Abkommen, die eine doppelte Besteuerung verhindern, sind scheinbar eine faire Idee: Warum sollte man auf dieselben Einkünfte auch zweimal Steuern zahlen? Trotzdem warnt der Internationale Währungsfonds (IWF) zu „großer Vorsicht“.

Was genau solche Doppelbesteuerungsabkommen sind, wie sie funktionieren und ob sie wirklich fair sind, haben wir unseren Experten, Prof. Dr. Dirk Kiesewetter, Inhaber des Lehrstuhls für BWL und Betriebswirtschaftliche Steuerlehre, gefragt. Lesen Sie hier seine Antworten:

Prof. Kiesewetter: Wenn ein Bewohner eines Staates sich in einem anderen Staat wirtschaftlich betätigt, z.B. indem er dort investiert oder arbeitet, dann erheben typischerweise beide Staaten den Anspruch, das daraus entstandene Einkommen zu besteuern und es kommt zu einer sog. Doppelbesteuerung. Im Zweifel betätigt sich die Person daher nicht im Ausland, weil die Steuerlast viel höher ist als bei Betätigung im Inland. Ein solches Steuersystem wäre also ein Hemmschuh für die wirtschaftliche Entwicklung. Weil das niemandem nützt, schließen Staaten seit ca. 100 Jahren sog. Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) ab. Ein DBA ist ein völkerrechtlicher Vertrag, in dem die unterzeichnenden Staaten aushandeln, welcher Staat in welchen Situationen und in welchem Umfang besteuern darf. Dadurch soll Doppelbesteuerung vermieden werden, um eine wirtschaftliche Betätigung zwischen den Staaten nicht zu behindern.

Redaktion: Doppelbesteuerungsabkommen gelten aber auch als Instrument, einkommensschwache Länder im Wettbewerb zu stärken, indem diese Länder ihre Attraktivität für Investoren erhöhen und dafür auf einen Teil der Steuereinnahmen verzichten. Das klingt zunächst Erfolg versprechend für die einkommensschwächeren Länder. Aber sind sie wirklich gerecht oder werden bilaterale Steuerabkommen vielmehr als Instrument eingesetzt, Ressourcen aus einkommensschwächeren Ländern abzuziehen und in reichere Länder umzulenken?

Prof. Kiesewetter: Für diese Vermutung sehe ich keine Anhaltspunkte. Im Gegenteil ist es so, dass DBA regelmäßig vorsehen, dass Gewinne, die bei der Ausbeutung von Rohstoffen, in der Landwirtschaft oder mit Immobilien erzielt werden, vorrangig von dem Staat besteuert werden dürfen, in dem sie erzielt wurden. Das ist doch eher das Gegenteil von „Ressourcen abziehen“. Es ist vielmehr so, dass die Existenz eines DBA mehr Rechtssicherheit schafft und sollte daher ceteris paribus für einen Kapitalzufluss und mehr Wachstum in diesem Entwicklungsland sorgen.

DBA werden übrigens nicht in jedem einzelnen Fall von null an neu erfunden, sondern folgen einer Vorlage. Deutschland nutzt üblicherweise das Musterabkommen, das die OECD entwickelt hat und laufend überarbeitet, um neuen Entwicklungen gerecht zu werden. Die UNO stellt ein Musterabkommen zur Verfügung, das v. a. als Grundlage für DBA zwischen einem Entwicklungs- und einem Industrieland gedacht ist. Die Aufteilung der Steueransprüche ist hier etwas asymmetrisch, und zwar zugunsten des Entwicklungslandes. In Deutschland gibt es durchaus eine Diskussion darüber, ob Deutschland großzügig genug agiert. Das zeigt, dass es hier ein Bewusstsein für die Problematik gibt.

Redaktion: Der Internationale Währungsfonds (IWF) rät Ländern, die solche Abkommen in Erwägung ziehen, zu „großer Vorsicht“.

Prof. Kiesewetter: Klar ist doch, dass bei einer internationalen Vertragsverhandlung jeder Staat darauf achten muss, seine eigenen Interessen und die seiner Bürger im Auge zu behalten. Ein DBA hat eine große und langjährige Tragweite, wenn es erst einmal geschlossen ist. Und klar ist auch, dass große und entwickelte Staaten im Zweifel mehr und besseres Personal für solche Verhandlungen abstellen können. Ob es Staaten gibt, die das missbrauchen, ist eine interessante Frage, auf die ich aber derzeit noch keine Antwort habe.

Redaktion: Sind bilaterale Steuerabkommen also wirklich fair? Und welche Rolle spielt Deutschland dabei?

Prof. Kiesewetter: „Die kurze Antwort ist: Ja, DBA machen die Welt gerechter. Sie sind ein wichtiges Instrument zur Koordination von Besteuerungsansprüchen. Doppelbesteuerung behindert eine marktgerechte Kapitalallokation und vernichtet Wohlstand. In jüngerer Zeit werden in DBA auch zunehmend Vereinbarungen getroffen, die sog. „weiße Einkünfte“, d. h. eine Minderbesteuerung, verhindern. Diese entsteht dadurch, dass Steuerpflichtige sich die Unterschiede zwischen den nationalen Rechtssystemen zunutze machen, um einer Besteuerung ganz oder teilweise zu entgehen. Bedeutung gewonnen haben außerdem Mechanismen zur Konfliktlösung, die dann greifen sollen, wenn die Unterzeichnerstaaten sich in einem Fall nicht einigen können. Das reduziert Transaktionskosten und schützt die betroffenen Steuerpflichtigen.

Deutschland unterhält ein sehr großes Netzwerk von DBA, die laufend weiterentwickelt werden. Ich halte das für einen wichtigen Standortvorteil von Deutschland und für einen Beitrag zur „Steuergerechtigkeit“ gegenüber den Steuerpflichtigen, aber auch in der Aufteilung des Steueraufkommens mit den Vertragsstaaten.

Es ist meines Wissens noch nirgendwo auf der Welt gelungen, ein multilaterales DBA zu verhandeln. Die Sache ist zu kompliziert und viel zu sehr von den Gegebenheiten in den betroffenen Ländern abhängig, als dass man mehr als zwei Rechtssysteme unter einen Hut bekommt.

Die Fakultät bedankt sich sehr herzlich bei Prof. Kiesewetter, für diese offenen und ausgesprochen interessanten Antworten.