CO2-Grenzsteuerausgleich der EU
Am 1. Oktober 2023 startete der neue europäische CO2-Grenzsteuermechanismus (carbon border adjustment mechanism, CBAM). Dabei muss für eine Gruppe emissionsintensiver Produkte wie z.B. Stahl und Zement eine Abgabe bezahlt werden, wenn das Produkt in die Europäische Union eingeführt werden soll. Die Höhe dieses „Klimazolls“ richtet sich dabei nach dem europäischen CO2-Preis und danach, wie viel CO2 in der Produktion angefallen ist. Wenn das exportierende Land selbst einen heimischen CO2-Preis für die Produktion der betroffenen Güter hat, wird die Grenzsteuer entsprechend reduziert oder entfällt sogar ganz, wenn der CO2-Preis genauso hoch ist wie in der EU.
Warum führt die EU den CBAM ein? Wird er die erwünschten Effekte erzielen? Und welche anderen klimapolitischen Maßnahmen könnte und sollte die EU ergreifen? Wir haben nachgefragt bei Prof. Dr. Joschka Wanner.
Prof. Dr. Joschka Wanner (Bild: Uni Würzburg)
WiWi Fakultät: Was ist die Motivation für den CBAM?
Joschka Wanner: Ein grundlegendes Problem von unilateraler Klimapolitik ist so genanntes Carbon Leakage. Der Begriff beschreibt das Phänomen, dass Klimapolitik in einem Land oder einer Region (beispielsweise in der EU) zwar die CO2-Emission dort senkt, möglicherweise aber gleichzeitig für steigende Emissionen anderenorts sorgt. Die beiden wichtigsten Kanäle sind dabei zum einen eine Verschiebung der Wettbewerbsfähigkeit und zum anderen Preiseffekte auf den internationalen Energiemärkten. Durch strengere Klimapolitik wird emissionsintensive Produktion in der EU teurer und europäische Unternehmen in diesen Bereichen weniger wettbewerbsfähig. Deshalb besteht das Risiko, dass die „schmutzige“ Produktion einfach ins Ausland verlagert wird und die Produkte dann in den europäischen Markt importiert werden. Zusätzlich sorgen ambitioniertere Emissionsreduktionsziele in der EU dafür, dass in Europa weniger fossile Brennstoffe nachgefragt werden. Dadurch sinken die Weltmarktpreise für fossile Brennstoffe und andere Länder ohne entsprechende Ziele haben Anreize, diese Brennstoffe verstärkt zu nutzen. Der CBAM ist ein Instrument, mit dem gegen Carbon Leakage vorgegangen werden soll. Mit ihm versucht die EU also zu gewährleisten, dass in Europa eingesparte Emissionen nicht nur verschoben, sondern auch in einer globalen Perspektive tatsächlich eingespart werden.
WiWi Fakultät: Und der CBAM kann das Leakage-Problem lösen?
Joschka Wanner: Leider nur teilweise. Er schützt jedenfalls gegen Leakage durch den Wettbewerbsfähigkeitseffekt und reduziert damit das Problem. Allerdings gleicht er den Unterschied in der CO2-Bepreisung zwischen europäischen und anderen Produzenten nur für den europäischen Markt aus. In anderen Märkten könnten europäische Produzenten durch ambitionierte Klimapolitik immer noch Marktanteile bei emissionsintensiven Produkten verlieren. Außerdem bietet der CBAM keinen Schutz gegen Leakage über den Energiemarktkanal. Dazu kommt, dass der CBAM in der aktuellen Variante nicht sehr weitreichend ist: er deckt nur einige wenige, besonders emissionsintensive Industrien ab und bezieht sich nur auf die Emissionen, die unmittelbar in der Produktion dieser Güter anfallen. Emissionen entlang der Wertschöpfungskette, also CO2-Emissionen die schon in den verwendeten Vorprodukten stecken, werden nicht berücksichtigt. Insofern ist insgesamt davon auszugehen, dass der CBAM Leakage reduziert, aber nicht in Gänze eliminiert. Im allerbesten Fall kann der CBAM allerdings auch dazu führen, dass andere Länder selbst eine CO2-Bepreisung einführen. Zum Beispiel Indien und die Türkei diskutieren diese Maßnahme in Reaktion auf die CBAM-Ankündigung der EU. Damit könnten ihre Produzenten der Grenzabgabe aus dem Weg gehen und die Einnahmen aus der CO2-Bepreisung würden in den jeweiligen Ländern selbst anfallen. Emissionen würden dann nicht dorthin verschoben, sondern im Gegenteil dort ebenfalls reduziert werden.
WiWi Fakultät: Gibt es sinnvolle Alternativen oder ergänzende Maßnahmen, mit denen die EU die Wirksamkeit ihrer Klimapolitik stärken kann?
Joschka Wanner: Auf jeden Fall! Im besten Fall würden wie gesagt möglichst viele Länder CO2 mit einem Preis belegen. Diese Länder könnten gemeinsam einen so genannten „Klimaclub“ bilden, der potenziell nach außen mit gemeinsamen Zöllen operiert. In manchen Fällen kann der CBAM als Anreiz für die Einführung eines CO2-Preises ausreichen, in anderen Fällen kann es Sinn ergeben, möglichen Partnerländern zusätzliche Angebote zu machen, sie bei der notwendigen Transformation zu unterstützen, beispielswiese mit Technologietransfers. Eine wichtige Frage wird insgesamt sein, wie die EU die Einnahmen aus dem CBAM einsetzt. Hier wäre es sinnvoll, eine klare Ausgabenbindung an die grüne Transformation und an die Anpassungskosten an den Klimawandel zu wahren, insbesondere auch für entsprechenden Finanzierungsbedarf außerhalb der EU im globalen Süden. Damit könnte auch dem Vorwurf begegnet werden, hinter dem CBAM verstecke sich in Wahrheit nur „grüner Protektionismus“. Zusätzlich ist es wichtig, dass die EU auch klimapolitische Maßnahmen ins Auge fasst, die neben der Nachfrage nach fossilen Brennstoffen gezielt auch deren Angebot reduziert. Wo in Europa noch fossile Brennstoffe gefördert werden, sollte das also zügig beendet werden. Und im Rahmen von Energiepartnerschaften können auch andere Länder dazu bewegt werden, nicht nur ihre eigene Energieversorgung umzustellen, sondern auch fossile Reserven im Boden zu belassen. Das bedeutet natürlich auch: die in Deutschland zum Teil erhobene Forderung nach einem Einstieg in die Gasgewinnung durch Fracking ist völlig abwegig. Insgesamt muss die EU bei all ihren klimapolitischen Maßnahmen ihre Vorbildrolle im Blick haben. Wenn dieser wohlhabende Wirtschaftsraum die grüne Transformation nicht auf die Reihe kriegt, wie können wir dann mit Erfolgsaussicht in internationalen Verhandlungen größere Anstrengungen von anderen Ländern einfordern, die noch nicht unseren Lebensstandard erreicht haben?