Fast alle Studierende greifen mittlerweile auf Künstliche Intelligenz zurück, um Hausarbeiten zu verfassen, Recherchen zu beschleunigen oder sich auf Prüfungen vorzubereiten. Die perfekte Lösung – oder verlernen sie dadurch das eigenständige Denken?
Noch vier Tage bis zur Prüfung. Anastasia (24) sitzt vor einem Berg von Vorlesungsunterlagen – überfordert und ratlos, wie sie sich den gesamten Stoff in so kurzer Zeit aneignen soll. Dann kommt ihr die rettende Idee: „ChatGPT, erstelle mir eine Zusammenfassung dieser Vorlesungsfolien.“ Auch Wirtschaftsinformatik-Student Amil aus Würzburg hat die KI in der vergangenen Prüfungsphase genutzt: „ChatGPT hat mir geholfen, meine Seminararbeit effizienter zu schreiben. Besonders für die Strukturierung der Gliederung und die Überprüfung meiner Quellen war die KI ein echter Zeitgewinn.“

Das ist inzwischen der Normalfall. Künstliche Intelligenz hat den Alltag an deutschen Hochschulen längst erreicht. Eine deutschlandweite Befragung von über 6.300 Studierenden der Hochschule Darmstadt zeigt: Fast zwei Drittel der Befragten nutzen KI-Tools wie ChatGPT bereits im Studium. Besonders beliebt sind die Programme bei Studierenden der Ingenieurwissenschaften (75,3 Prozent) sowie der Mathematik und Naturwissenschaften (71,9 Prozent).
ChatGPT wird von den meisten Studierenden herangezogen, um Verständnisfragen zu klären, fachspezifische Konzepte genauer zu analysieren sowie die Recherche für Hausarbeiten und wissenschaftlichen Texten zu vereinfachen. Die KI kann jedoch nicht nur als Unterstützung herangezogen werden, vielmehr kann sie einem die ganze Arbeit abnehmen, indem es Übersetzungen anfertigt, Texte selbständig erstellt und überarbeitet.

Lisa, Psychologie-Studentin im dritten Semester, nutzt die KI regelmäßig: „Gerade in der Klausurenphase war ChatGPT für mich ein echter Gamechanger. Ich habe Zusammenfassungen von Vorlesungstexten erstellen lassen und konnte mich so schneller auf das Wesentliche konzentrieren.“ Sie fügt aber hinzu: „Man muss die Ergebnisse immer nochmal gegenprüfen. Manchmal steht da auch Blödsinn.“
Gefahr der Bequemlichkeit – Kritiker schlagen Alarm
Viele Professorinnen und Professoren teilen die Begeisterung ihrer Studierenden dagegen nicht: „Die umfassenden Möglichkeiten der KI erschweren die Einhaltung der Grundregeln wissenschaftlichen Arbeitens – generierte Texte wirken oft wie ein stimmiges Gesamtwerk und können leicht als eigene Leistung fehlinterpretiert werden“, erklärt Professor René Theisen von der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Ein weiteres Problem des KI-Tools sei die Gefahr von Plagiaten. Hausarbeiten würden ganz oder teilweise von der KI verfasst – oft ohne, dass die Quelle kenntlich gemacht werde. Dabei sei die Qualität der generierten Inhalte nicht immer zuverlässig. Die KI könne „fehlerhafte oder unvollständige Inhalte liefern“ oder sogar „frei erfundene Ergebnisse präsentieren“. All diese potenziellen Fehlerquellen stellen insbesondere für Studierende ein großes Risiko dar, die sich blind auf die Künstliche Intelligenz verlassen.
Auch Wirtschaftsinformatik-Student Leon bereitet das manchmal Kopfzerbrechen: „Bei den generierten Texten von ChatGPT habe ich oft erkannt, dass dieser mir die Quellen nicht richtig nennen kann. Auch bei Übersetzungen macht ChatGPT einige Fehler und als ich Ihn drauf aufmerksam gemacht hat kam nur die Antwort, dass er das Dokument nicht lesen kann. War eine etwas enttäuschende Antwort“.
Allerdings: Die Chancen überwiegen für mehr als die Hälfte der Studierenden nach einer Befragung von YouGov aus dem Januar 2024 die Risiken.

Wie reagieren die Hochschulen?
Die Universität Würzburg sieht den Einsatz von KI-gestützten Textgeneratoren wie ChatGPT vor allem als rechtliche und didaktische Herausforderung. In ihren Richtlinien betont die Universität, dass die Nutzung von ChatGPT ohne Kennzeichnung als Täuschungsversuch gewertet werde, ähnlich wie ein Plagiat. Besonders problematisch sei, dass Studierende ohne klare Regelungen nicht wüssten, ob der Einsatz von KI erlaubt sei oder nicht.
Ein weiteres großes Risiko liege in der fehlenden Verlässlichkeit von KI-generierten Inhalten. Da ChatGPT Texte auf Basis statistischer Wahrscheinlichkeiten erstelle, könnten Informationen falsch oder irreführend sein.

Um die Probleme zu vermeiden, setzt die Uni auf klare Regeln und Transparenz. Studierende müssen angeben, ob sie KI genutzt haben, insbesondere in Haus- und Abschlussarbeiten. Zudem wird geprüft, ob Open-Book-Klausuren oder neue Prüfungsformate eine kontrollierte Nutzung von KI ermöglichen könnten, jedoch stets mit einer Kennzeichnungspflicht.
Studierende bleiben bei der Nutzung eigenverantwortlich
Studis können die KI also durchaus legal nutzen, um Recherchen zu beschleunigen und eigene Texte zu hinterfragen. Doch die Grenzen und Risiken liegen auf der Hand: fehlende Eigenständigkeit, unzuverlässige Inhalte und ein „zu viel“ an Hilfe, das von Prüfern als Täuschung gewertet werden kann. Nicht immer einfach, die Grenze richtig zu ziehen. Die Uni Würzburg bietet auch aus diesem Grund Schulungsangebote an, um einen verantwortungsvollen Umgang mit KI zu fördern. Damit die KI nicht zum Dauerersatz wird für eigenes Denken bei der wissenschaftlichen Arbeit.
von Nelli Belz und Mirzeta Horic
