Wie lässt sich das im Grundgesetz verankerte Gebot der Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse in Deutschland wissenschaftlich fundieren? Mit dieser Frage beschäftigt sich Prof. Dr. Michael Pflüger, Inhaber des Lehrstuhls für Volkswirtschaftslehre – Internationale Ökonomik, in einem aktuellen Gastbeitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung.
Aus der Warte des auch heute dominierenden wissenschaftlichen Paradigmas ‚räumlichen Gleichgewichts‘ musste dieses Gebot lange als bedeutungslos eingestuft werden und nicht wenige Ökonomen haben das Konzept daher als untauglich verworfen. Grund hierfür ist die dem Ansatz zugrundeliegende Annahme der Mobilität der Haushalte: diese wählen sich Arbeits- und Wohnorte entsprechend ihren Präferenzen und wägen hierbei positive Faktoren (hohe Löhne, günstige klimatische Faktoren, eine attraktive geographische Lage, gute kulturelle Angebote) und negative Faktoren (hohe Mieten und Lebenshaltungskosten, Verkehrsverstopfung, Umweltverschmutzung) gegeneinander ab. Eine auf lokalen Ausgleich zielende Regionalpolitik ist dann verfehlt, sie hätte nur ungewünschte Nebeneffekte. Auch in neueren Ansätzen, in denen berücksichtigt wird, dass die Mobilität aufgrund von persönlichen Bindungen und Netzwerken eingeschränkt ist, bleibt die Kerneinsicht erhalten, dass sich die Wohlfahrt in der Erwartung zwischen den Standorten ausgleicht, und dass kein Individuum einen Anreiz hat, an einen anderen Ort zu wechseln. Die Einschätzung regionaler Politiken fällt in diesen neueren Ansätzen jedoch günstiger aus, weil sie nun zielgenauer wird.
Ein neuer polit-ökonomischer Ansatz verfolgt eine radikal andere Perspektive. Im Erklärungsmittelpunkt stehen städtische „Insider“, jene Haushalte, die sich bereits in einer Stadt angesiedelt haben und die dort ihre Interessen gewahrt wissen wollen. Neuankömmlinge sind nur willkommen, wenn sie Vorteile bringen, ansonsten wird die lokale Politik mobilisiert, NIMBY-Politiken (‚Not In My Backyard‘) durchzusetzen, vielfältige lokale Regulierungen, mit denen die Stadtgrößen gesteuert werden (Bauflächenbegrenzungen, Zonierungen, Regulierungen der Nachverdichtung und Gebäudehöhen, langwierige Genehmigungsverfahren, exzessive Grünflächen). Je attraktiver eine Stadt, umso höher die Wohlfahrt der ‚Insider‘, und umso schärfer müssen die Regulierungen ausfallen, um eine Zuwanderung zu unterbinden.
Eine aktuelle Studie liefert aus dieser polit-ökonomischen Perspektive eine Bestandsaufnahme für Deutschland – mit überraschenden Ergebnissen: Nicht nur Metropolen wie München oder Frankfurt, sondern auch Städte wie Erlangen und Ingolstadt rangieren im Ranking ganz oben. Die Studie macht deutlich, dass diese lokalen Mechanismen entscheidend zum Auseinanderklaffen der Lebensverhältnisse beitragen. Damit ergeben sich neue Perspektiven für die Regionalpolitik: zentraler Hebel ist das Aufbrechen lokaler Regulierungen. Damit lassen sich Wohlfahrtsgewinne für die Gesamtwirtschaft erzielen und regionale Wohlfahrtsunterschiede abbauen – ganz im Sinne der Schaffung gleichwertiger(er) Lebensverhältnisse.
Den vollständigen Artikel ist bei der FAZ online verfügbar (€).

